Zuerst sah es noch ganz gut für Rostkatze aus, aber mit der Zeit verschlechterte sich ihre Lage. Da der Zweikampf sehr lange dauerte und Anakonda geschickt und ausdauernd war, kam die arme Rostkatze schon nach einer Stunde völlig aus der Puste. Anakonda hatte sie in dieser einen Stunde schon fast umwickelt, ihr mehrmals Angst mit ihrer fürchterlichen Schalngenstimme, die nicht mehr und nicht weniger als ein bedrohliches Zischen war, eingejagt, ja, Anakonda hatte ihr mehrere Male in die Augen geschaut und ihr versprochen, dass sie sie töten würde, sie hatte oft zu Leopard geschaut und so nicht bemerkt, wie sich Anakonda ihr näherte, aber bisher war sie am Leben geblieben. Nun aber bestand keine große Hoffnung mehr, weil sie jetzt nämlich komplett aus der Puste war und einfach nicht mehr konnte. Sie rang nach Atem, hechelte, schwitzte an den Pfoten, schluckte, sah, wie Anakondas riesige, gelbe Augen sich ihr immer mehr näherten, konnte nichts unternehmen, weil sie auf dem Boden lag. Eine entsetzliche Stille hatte sich auf dem ganzen Schulhof ausgebreitet.
Und dann, dann war es um Rostkatze geschehen: Anakonda war direkt vor ihr und konnte sie jederzeit erwürgen. Eine Bewegung, und Anakonda schnappte sie. Dann war es soweit. Anakonda rückte noch mehr vor und erwürgte Rostkatze - fast! Denn Rostkatze war instinktiv mit letzter Kraft zurückgewichen und hatte die Flucht ergriffen. Ganz knapp war sie dem Tod entronnen.
Panisch rannte Rostkatze um ihr Leben, das sie beinahe fast verloren hätte. Die Angst - die Todesangst - hatte Rostkatze ergriffen.
Anakonda schlängelte ihr so schnell sie konnte hinterher. Schon bald hatten die beiden das Schulgelände entgültig verlassen.
Noch hatte Rostkatze einen satten Vorsprung, aber lange würde sie nicht mehr rennen können. Das Problem war, dass sie keine einzige Sekunde verlieren durfte. Blind vor Angst floh sie weit in den Dschungel hinein, weiterhin verfolgt von der wütenden Anakonda. Die Jagd dauerte lange, länger als gedacht.
Schließlich konnte Rostkatze nicht mehr weiter. Vor ihr lag ein tiefer Abgrund, der ihr den Weg versperrte. Rostkatze schlug ihre Augen weit auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Kopf war absolut leer. Sie saß in der Falle, denn Anakonda hatte sie mit Leichtigkeit eingeholt. Nun gab es weder Entrinnen noch Zurück mehr. Auf der einen Seite war der Abgrund, auf der anderen Anakonda.
Rostkatze hechelte und hechelte und... hechelte. Und schwitzte an den Pfoten, da sie an den Pfoten ihre Schweißdrüsen hatte. Sie genoss ihre womöglich letzten Momente nicht, nein, sie verbrachte sie in starrer Angst. Aber es waren nicht ihre letzten Momente, denn gerade zur richtigen Zeit kamen Tukan, Affe, Nilpferd, Ozelot und Leopard, die die beiden verfolgt hatten.
Leopard glühte und loderte und funkelte und sprühte Funken mit seinem Blick und knurrte.
Affe schnitt Grimassen, stieß verwirrende Töne aus und tänzelte umher.
Tukan flatterte direkt über Anakondas Kopf herum, damit sie nervös wurde.
Ozelot schnurrte, weil er ja nicht knurren konnte, und machte komischen Quatsch.
Nilpferd stampfte extralaut um Anakonda im Kreis herum, damit sie sich unsicher und beobachtet fühlte. Aber Anakonda ließ sich nur halb ablenken. Mit einem Auge schaute sie nämlich weiterhin zu Rostkatze und beobachtete, was diese machte. Und sie machte etwas, womit Anakonda nicht gerechnet hatte: Sie sprang todesmutig über ihren Kopf hinweg auf Anakondas Schwanz, dass diese schmerzverzerrt am Boden liegen bleiben musste, und jagte dann triumphierend und mit neuer Kraft zurück zum Schulhof. Mit der Hilfe der anderen hatte sie über Anakonda gesiegt!
In den darauf folgenden Tagen weigerten sich die meisten Tierkinder, zu lernen. Tapir, Chamäleon, Jaguar, Kasuar, Krokodil und Nebelparder wollten von Leopard, Rostkatze, Affe, Nilpferd und Ozelot alles über den Kampf wissen und die meisten Lehrer waren so interessiert, dass sie sogar vergaßen, zu unterrichten. Nur Frau Harpye und Frau Nasenbär bemühten sich vergeblich, die Schüler zum Lernen zu bringen. Selbst Herr Gürteltier, der alte strenge Herr Gürteltier, lauschte gebannt den Tierkindern, die wirr durcheinander drauflosquasselten.
Das einzige Tierkind, das immer noch lernen wollte, war Hyazinthara. Sie hatte kein bisschen Interesse für die Sache mit dem Kampf, weil da Männchen mitmachten und sie nichts mit dem Quatsch und den ganzen Dramen und sonstigen Aufsehen erregenden Sachen, die die Männchen machten, zu tun haben wollte. Eigentlich hätte Zwergameisenbär auch lieber gelernt, statt den brutalen Geschichten von den anderen zuzuhören, aber weil sie schreckliche Angst vor Frau Harpye und Frau Nasenbär hatte, ließ sie beides sein und versteckte sich einfach vor allen in der obersten Spitze der Baumkrone. Weil sie aber Angst hatte, nie wieder nach unten kommen zu können, kletterte sie wieder ein Stückchen nach unten.
Nach ein paar Wochen wusste jeder außer Hyazinthara und Zwergameisenbär genau jedes Detail vom Kampf und der darauf folgenden Verfolgungsjagd und alle fanden das wieder langweilig und lernten wieder besser.
Am Nachmittag trafen sich Tukan, Affe, Nilpferd und Ozelot wieder bei Tukans Palme und machten wieder eine von ihren üblichen Besprechungen, obwohl sie eigentlich nichts mehr so richtig zu besprechen hatten. Aber dem schlauen Tukan fiel eben doch noch etwas ein und so hatten sie wieder etwas zu besprechen.
"Leute", sagte er, "wir haben zwar jetzt schon sehr viel herausgefunden, beobachtet und erlebt, aber wir wissen trotzdem immer noch nicht, ob Leopard auch in Rostkatze verknallt ist oder ob er nur irgendetwas mit ihr hat oder ob er nur so tut oder was auch immer oder sonst was oder was weiß ich. Versuchen wir, das herauszufinden?"
"Ja!", riefen Affe, Nilpferd und Ozelot.
"Gut", sagte Tukan. "Was denkt ihr über Leopard? Ich habe gerade keinen konkreten Gedanken."
"Ich denke, dass Leopard auch in Rostkatze verknallt ist", sagte Affe sofort. "Und dass sich die beiden regelmäßig Liebesbriefe schreiben."
"Ich denke, dass Leopard nur so tut, dass er in Rostkatze verknallt ist", sagte Nilpferd mit seinem treuherzigen Gesichtsausdruck. Eigentlich dachte er gar nichts und hatte keine Vermutung, deshalb sagte er einfach irgendetwas, von dem Tukan geredet hatte.
"Ich denke, dass Leopard Rostkatze irgendwie mag, aber nicht so richtig in sie verknallt ist", schnurrte Ozelot nachdenklich.
"Wollen wir Leopard in der nächsten Pause einfach mal fragen?", fragte Affe.
"Und der, der richtig geraten hat, darf einen Ausflug zu einem See mit einer kleinen Insel mit Früchten drauf machen", schlug Nilpferd eifrig vor, der schon vergessen hatte, was er zu Leopards Gedanken über Rostkatze gesagt hatte.
"Lieber nicht, ich hab nicht so große Lust", sagte Ozelot. "Aber wenn du gewinnst, kannst du das machen. Nur eben, wenn ich zum Beispiel gewinne oder wenn Affe gewinnt, dann muss der das nicht machen. Und wenn du verlierst, kannst du das ja trotzdem machen, wenn du willst und wenn du diese Obstinsel kennst."
Am nächsten Tag gingen die 4 Freunde wieder gemeinsam zur Schule und waren mal wieder fast die frühesten. Sie suchten sich ein besonders großes stabiles Palmenblatt aus, das bei Freunden als Sitzplatz immer sehr begehrt war. Sie sagten Frau Wassrrschwein guten Morgen und schnappten sich Papyrus-Papiere (oder eben Papierblätter, die nicht aus Papyrus, sondern aus anderen Pflanzenblättern hergestellt waren). Schließlich war gerade Rechtschreibung-Grammatik-Zeichensetzung-Wiederholungs-Unterricht (also Briefeschreiben). Tukan, Affe und Ozelot wussten schon sofort, an wen sie schreiben wollten und was: Sie wollten alle in ihrem Brief Leopard fragen, wie er über Rostkatze dachte. Nur Nilpferd kam auf diese Idee nicht und träumte ein bisschen vor sich hin, weil er noch nicht ganz wach war. Und er war sowieso auch eher so ein Träumerchen.
Tukans Brief sah so aus, als er fertig war:
Hallo Leopard,
ich habe eine Frage an dich, die ich dir schon sehr lange stellen wollte: Was denkst du über Rostkatze? Wie ist deine Meinung zu ihr? Bist du zum Beispiel auch in sie verknallt oder tust nur so oder so? Bitte antworte irgendwann mal, du musst mir übrigens keinen Brief schreiben, sonder kannst mir das auch einfach sagen.
Tukan 🐦
Das war Affes Brief:
Hallo Leopard
Bist du in Rostkatze verknallt? Und schreibst du ihr aucch auch Liebesbriefe?
Affe🙈🐒
Ozelots Brief an Leopard war so:
Hast du was mit Rostkatze? Das denke ich nämlich, Leopard. Wahrscheinlich magst du Rostkatze irgendwie, aber bist nicht in sie verknallt. Sag mir bald, ob das stimmt.
OZELOT 😼😾🙀
Schließlich hatte Nilpferd bemerkt, was seine Freunde geschrieben haben und erinnerte sich wieder an seinen eigenen Verdacht über Leopard. Also schrieb er:
halo lepard
tus du nur so das du in roskaze veknalt bisd oder was sint daine gedancken?
ich bin nilpferd. shraib mir zurük. ich froie mih auf di antwot.
nilpferd🦛
(Kleine Anmerkung: Nilpferd unterlief ab und zu ein kleiner Rechtschreibfehler. Er hatte ja auch nicht seit der ersten Klasse Sprache als Fach.)
Sie gaben Leopard unauffällig und in regelmäßigen Abständen die Briefe, damit er keinen Verdacht schöpfte, dass sie unter einer Decke stecken könnten und sich fragten, was er von Rostkatze hielt. Weil fast alle Tiere Leopard Briefe gaben, bemerkte er gar nichts. Alle Briefe an ihn außer die von Nilpferd, Ozelot, Tukan und Affe (also die von Rostkatze, Tapir, Krokodil, Jaguar, Kasuar, Chamäleon, Nebelparder und Anakonda) ergaben nicht sehr viel Sinn und waren relativ uninteressant.
Tapir schrieb davon, wieviel er immer bei seinen Eltern und Geschwistern herumprahlte, dass er ein sehr offizieller und anerkannter Fan von Leopard war.
Anakonda drohte in ihrem Brief mit weiteren Angriffen auf Leopard und Kämpfen mit Rostkatze, aber jeder, der diesen Drohbrief gelesen hätte (was nicht vorkam, weil Leopard seine Briefe immer irgendwo still und heimlich im Schatten der Palmen las) hätte sofort gewusst, dass das nur leere Drohungen waren, die Leopard abschrecken und ihm Angst einjagen sollten, dass Anakonda sich aber gerade jetzt auf nie und nimmer damit lächerlich machen würde, einen erneuten Angriff zu starten, wo ihre Niederlage so offensichtlich war. Auf keinen Fall würde sie das tun, das wusste selbst die kleine Ameisenbär, die damit nicht im geringsten etwas zu tun haben wollte. Anakonda würde so lange warten und Rachepläne schmieden, bis Leopard oder Rostkatze selbst irgendeinen Fehler beging und selbst eine Niederlage gegen irgendwen anderes erlitt, und dann erst wieder zuschlagen. Dann würden die anderen Leopard oder Rostkatze auch nicht unterstützen und sie hätte freie Bahn.
Krokodil, Kasuar und Chamäleon schrieben davon, wie cool sie Leopard fanden und wie fanatisch sie von ihm waren. Anakonda hätte gedacht: Noch! Denn sie war ja davon überzeugt, dass Leopard irgendwann einen riesengroßen Fehler begehen und alle seine Fans verlieren würde.
Jaguar, der etwas intelligenter war, weil er sitzen geblieben war und so viel Erfahrung gesammelt hatte, schrieb nicht so einen sinnlosen, lächerlichen Quark, sondern schrieb an Leopard Pläne, was dieser den Lehrern für Streiche spielen konnte.
Nebelparder schrieb so ähnliche Sachen wie Krokodil, Kasuar und Chamäleon, aber sein Brief war noch kürzer, seine Schrift noch krakeliger und unlesbarer und ihm unterliefen noch mehr Rechtschreibfehler, die bei den Männchen allerdings hoch geachtet waren, da sie als ein Zeichen der "Quatschigkeit" und dem Widerstand gegen die übermächtigen, fehlerfreien, korrekten, strengen Lehrer gedeutet wurden.
Und Rostkatze, die gute Rostkatze, schrieb wieder einen ähnlichen Inhalt wie bei dem ersten skandalösen Liebesbrief, aber eben weniger extrem.
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