Kapitel 6: Affe kriecht

Als Pause war, fragte Affe Leopard, ob er die Briefe schon gelesen habe. Obwohl er laut sprach und die Fans gar nicht so laut waren, schien Leopard ihn nicht zu hören. Das glaubte Affe aber nicht. Er dachte sofort ein wenig sauer, dass Leopard nur so tat, als ob. Aber weder noch. Er hatte die Frage gehört und sie verstanden und er schaute mit funkelnden, glühenden Augen zu Affe, als ob er antworten würde. Sie warteten, aber er antwortete doch nicht. Er knurrte nur und glühte. Und war hungrig. Deshalb bewegte er sich unter den Palmen lautlos und seine Fans im Schlepptau umher, auf der Jagd nach Beutetieren, die keine Klassenkameraden waren. Es war so schattig, dass niemand genau sah, wie er seine Beute tötete und fraß, fast niemand. Denn, und das wusste Ozelot, der scharfe Augen und gute Ohren hatte, genau, ab dem Moment, wo Rostkatze über sie gesiegt hatte, lauerte sie immer irgendwo dort, wo der Schatten am tiefsten und schwärzten und undurchdringlichsten wirkte und beobachtete Leopard hasserfüllt und rachsüchtig mit ihren adlerscharfen, gelb leuchtenden, seit dem Moment ihrer Niederlage bedrohlich zusammengekniffenen Augen. Sie folgte Leopard auf Schritt und Tritt, und auch wenn er sie bemrkt hätte, hätte er sie nicht loswerden können, vorausgesetzt, er ging das Risiko eines zweiten Kampfes ein. Und das tat er nicht, seit er wusste, was richtige Angst war und wie es war, wenn man nicht im Vorteil war.

Als die Schule vorbei war, legte sich Leopard wieder mal ins hohe Gras und wartete, bis alle Fans, außer vielleicht Rostkatze, gegangen waren. Und wieder beobachteten ihn Tukan, Affe, Nilpferd und Ozelot. Sie mussten herausfinden, was er über Rostkatze dachte.
Ozelot, der die schärfsten Augen und die besten Ohren und die Nase mit dem am weitesten entwickelten Spürsinn hatte, sah mehr als die anderen und konnte Leopard manch einen Gedanken von seinen großen, gelb-orangenen Augen ablesen, die inzwischen irgendwie müde wirkten.
Ozelot erkannte, dass Leopard Tukans, Affes, Nilpferds und Ozelots Briefe alle gelesen hatte und gemerkt hatte, dass sie alle auf das gleiche hinauswollten: Was er über Rostkatze dachte. Er wusste, dass sie sich unter der Hülle eines fanatischen Fans versteckten, um mehr über ihn und seine Gedanken über Rostkatze herausfinden zu können, und dass sie alle unter einer Decke steckten. Ihm war offenbar mit seinen großen gelben Augen auch aufgefallen, dass sie sich seit kurzem so verhielten wie (ein wenig unprofessionelle) Detektive, und dass sie bei jeder Gelegenheit die Köpfe zusammensteckten. Er war bei weitem intelligenter, als man je vermutet hätte, denn auch er hatte noch eine andere Seite, als die des "quatschigen" Quereinsteigers mit den vielen OJEs und Fans. Auch er schien sich manchmal unter einer Hülle zu verstecken, die sein Inneres verbarg. Tief in ihm steckte etwas, das weder wild und unbesiegbar noch listig und bösartig war; das waren die Seiten, die er in der Schule von sich zeigte. Aber es gab noch etwas drittes, das er vermutlich gezeigt hatte, als er allein (also eigentlich beobachtet von Anakonda und Tukan, Affe, Ozelot und Nilpferd) mit Rostkatze im Schatten der großen Palme geglüht, gefunkelt und geleuchtet und geschwiegen hatte, und das er entwickelt hatte, als er Anakonda gegenüber klein und wehrlos und verlassen ausgesehen hatte. Ozelot konnte nicht genau erkennen, was es war, aber es war etwas, das anders war als die anderen Seiten von ihm. Es war dieses Gefühl, nicht im Vorteil zu sein, und die Angst... Nein... Nicht ganz. Ein Gefühl war ja nicht die Seite von jemandem. Vielleicht war es das gerechte in ihm, das er beim Kampf gegen Anakonda erst richtig gespürt hatte; die Gerechtigkeit... Aber nicht nur das, sondern auch... Wahrscheinlich auch das, mit dessen Hilfe er sein so seltenes samtweiches und nicht raues Schnurren (ja, Schnurren, nicht Knurren) zustande gebracht hatte. Es war, alles in allem, das Gute in ihm. Er war sehr gewachsen, seit er zum ersten Mal nicht im Vorteil, sondern im Nachteil gewesen war. Nicht körperlich war er gewachsen, sondern geistig.
Außerdem sah Ozelot, dass Leopard es manchmal gar nicht wollte, dass er so viele Fans hatte. Er wünschte sich manchmal anscheinend, er wäre einfach ein ganz normaler Schüler, der nicht gut lernte, aber auch nicht in der ganzen Klasse berühmt war. So einer wie zum beispiel Jaguar oder Nebelparder oder früher Ozelot.
Ozelot konnte sich ein ein wenig schadenfrohes Schmunzeln nicht verkneifen. Endlich waren die vielen Fans von Leopard ein Nachteil! Das hatte Leopard davon, Ozelot so rücksichtslos verdrängt und missachtet und herablassend und gedehnt lachend auf ihn herabgeschaut hatte, als wäre er eine kleine Ameise, die starb, weil sie es nicht schaffte, einen Krümel auf dem Rücken zu tragen. Aber dieser Leopard war er jetzt nicht mehr ganz, da das Gute in ihm endlich erwacht war.
Das alles hatte Ozelot herausgefunden, aber einen Gedanken über Rostkatze konnte er Leopard nirgends von den Augen lesen.
Inzwischen hatte Leopards geflecktes, von dunklen Rosetten übersätes Gesicht, das Ozelot früher einmal so gehasst hatte wie das eines massenmörderischen Monsters, einen nachdenklichen Gesichtsausdruck angenommen und seine Augen waren nur noch halb geöffnet. Dann drehte er seinen Kopf - o Schreck - zu seinen Beobachtern, und er sah sie. Allerdings erkannte er nicht, dass Ozelot so viel über ihn gesehen hatte. Er ahnte es nicht einmal ansatzweise. Seufzend drehte er seinen Kopf wieder in die andere Richtung, und sie waren wieder da, wie sie es schon einmal gewesen waren: Rostkatzes grün-gelbe, kleine Augen.
Tukan, Affe, Nilpferd und Ozelot schauten gebannt zu, was passierte, auch wenn Leopard die 4 Freunde schon gesehen hatte. Und natürlich (was sie sich aber auch wirklich hätten denken können) passierte nichts - das heißt, nicht viel. Denn Leopard wusste ja, dass sie ihn sehen konnten und jede Bewegung von ihm angespannt, aber auch neugierig und interessiert beobachteten. Und er wusste dadurch umso mehr, dass er ihnen nicht vertrauen konnte, weil sie immer (auch wenn Nilpferd sie nicht verstand) ihre eigenen Zwecke verfolgten. Und das schlaue Hirn dieser Sachen war Tukan. Leopard musterte seinen großen, beim Fliegen hinderlichen Schnabel, seinen kleinen, schwarzen Körper mit dem weißen Kopf mit den kleinen schwarzen Knopfaugen und der gelben Brust und den winzigen orangenen Füßen, die beim Klettern behilflich waren, und, obwohl er ihn schon angesehen hatte, den knallbunten, einfach unverzichtbaren riesengroßen Schnabel, ohne den Tukan nicht Tukan wäre.
Rostkatze schien die 4 detektivischen Tierfreunde offenbar ebenfalls bemerkt zu haben, und enttäuscht machte sie sich aus dem Staub. Enttäuscht, obwohl sie Tukan, Affe, Nilpferd und Leopard doch so gemocht hatte, als sie ihr gegen Anakonda geholfen hatten. Aber Leopard hatte eben Vorrang, das war ja auch natürlich. Tukan und Ozelot verstanden das. Nilpferd nicht. Aber er kam bei der ganzen Sache sowieso nicht ganz mit und konnte es nicht vermeiden, ab und zu gelangweilt zu gähnen und von seinem Tümpel in der Schule oder der Obstinsel, an die er so fest glaubte, dass er manchmal nicht aufhören konnte, von ihr schöne Illusionen zu haben, zu träumen.
Tukan, Affe, Nilpferd und Ozelot trotteten schwerfällig und nicht sehr fröhlich zu Tukans Baum.
Tukan trippelte unbeholfen auf seinen kurzen Beinchen, die fürs Klettern immer so nützlich waren, allen voran und schlug ab und zu mit den Flügeln.
Affe hatte gerade sogar die Lust am Klettern und Hangeln verloren, weil er den Tag für so erfolglos hielt, und kroch beinahe am Boden, so schlaff ließ er seine langen Arme zwischen seinen braunen Beinen auf dem Boden schleifen.
Hinter Affe schlich Ozelot, der nur schleichen konnte. Wären seine Pfoten weniger weich und mehr wie große Pranken, hätte er mit Vergnügen einen gigantischen Riesenkrach verursacht und alle Dschungelbewohner in Aufruhr und Panik versetzt, denn es wäre ihm vollkommen egal gewesen.
Und zur guten Letzt kam Nilpferd, der das große Glück hatte, laute Füße zu haben, die bei jedem einzelnen Schritt ein plumpen, stumpfen, dumpfen Ton verursachten. Und bei zwei Fußbewegungen gleichzeitig war der Ton doppelt so laut, denn es war Nilpferds Natur, und, wie es so schön heißt, "doppelt gemoppelt hält besser". Ozelot wäre geplatzt vor Neid und Gram, aber er war viel zu grimmig und griesgrämig dafür, dass er schon gar keine Energie fürs Aufregen mehr hatte, und nicht besser konnte, als einfach niedergeschlagen und nicht einmal im Kopf kochend vor Wut hinter Affe herzuschleichen und sich tausend- und abertausendmal zu wünschen, doch um Himmels Willen laute Füße zu haben.
Als sie bei Tukans Baum angekommen waren, hielten sie nicht wie üblich eine Besprechung ab, sondern schwiegen. Und schwiegen und schwiegen und schwiegen. Und niemand wusste, was er sagen konnte. Und es wollte auch keiner etwas sagen. Also setzten sie die sinnlose und nicht spaßige Stille fort und niemand unternahm etwas gegen sie, indem er sie brach. Sie starrten sich gegenseitig an und wollten, dass jemand anderes etwas sagte. Besonders schlimm war das für Nilpferd, weil alle ihn anstarrten, obwohl er eigentlich nur vor sich hin träumen und nichts sagen wollte.
Tukan, der schlaue Tukan mit dem großen Schnabel und den kleinen Kletterfüßen, war gereizt und der letzte, der jetzt etwas sagen würde. Wenn sie in so einer Stimmung waren, konnte er nur grimmig und (vielleicht) gekünstelt die Schnabelwinkel (falls es so etwas gibt) hochziehen. Diese Erfahrung hatte jeder seiner 3 Freunde schon erlebt und wollte dieses Verhalten bei Tukan nicht fördern, da es für alle unangenehm anzusehen war.
Affe hasste es, wenn es still war und niemand etwas sagte. Früher hätte er liebend gerne ein Gespräch angefangen oder einen lustigen Witz erzählt, aber das ließ er sein, denn er wusste inzwischen genau, dass niemand darauf eingehen würde, und wenn, dann Nilpferd, aber Tukan und Ozelot würden die beiden anstarren und nur grummlige "Mhm"s von sich geben, die für Affe das unerträglichste waren, was seine Freunde hervorbringen konnten. Deshalb schwieg er wütend und mit jeder Sekunde, die still verging, stieg seine Wut und wurde zu Raserei. Und so wurde er rasend und (was er nicht wusste) lief sein haariger Kopf knallrot vor Wut an und wurde immer röter und immer röter.
Ozelot befand sich nicht gerade gerne in dieser Situation, aber immer mal wieder kam sie vor, auch wenn er mit allen Mitteln versuchte, sie möglichst zu vermeiden. Aber wenn diese angespannte Stille die 4 heimgesucht hatte, konnte er nichts dagegen machen und ergab sich und schwieg einfach, bis er müde wurde und gähnte, was im schlimmsten Fall mehrere Stunden dauern konnte.
Schließlich hielt Affe es einfach nicht mehr aus und ihm platzte der Kragen, weil er die unerträgliche Stille gründlich satt hatte. Wie ein Gorilla, der einen anderen Gorilla beeindrucken und erniedrigen wollte, sein Revier verteidigte oder einen Gegner beim Paarungskampf aus dem Weg räumen will trommelte er sich wütend mit den Fäusten von seinen langen Armen auf die Brust und stieß rasende Töne aus: "Raaah! Uaaah! U-a-aaa!" Das drückte aus, dass er sich gerade überhaupt nicht kontrollieren konnte und völlig überfordert von der Situation war.
Nilpferd schrickte erschrocken aus seinem Halbschlaf und sah Affe mit den schreckgeweiteten Augen eines verängstigten Kleinkinds an.
Tukan hielt sich die großen, schwarzen Flügel vor die Augen und zappelte instinktiv mit seinen kurzen Beinchen auf dem Ast herum.
Ozelot sog hörbar die Luft ein und warf Tukan und Nilpferd Blicke zu. Er hatte es bisher nur selten erlebt, dass Affe die Kontrolle verlor und sich nicht mehr beherrschen konnte.
Als Affe sich beruhigt hatte, sah er grimmig drein und fragte: "Was guckt ihr so? Ist natürlich. Meine Eltern rasten auch so ähnlich aus." Alle, selbst Nilpferd, der gerade sehr dümmlich aussah, merkten förmlich, dass er keine Lust darauf hatte, weiterhin zu schweigen.
Ozelot beeilte sich, zu sagen: "Okay, okay, Affe. Ähm... Was wollen wir heute besprechen?" Er sah hilflos in die Runde und lachte unsicher.
"Ich habe keine Idee", gab Nilpferd treuherzig zu und versank wieder in seinen Träumereien von der Obstinsel.
"Ich auch", murmelte Tukan. Sonst hatte er doch immer Ideen! Warum jetzt nicht?
"Na gut", sagte Ozelot griesgrämig. Er erzählte seine Beobachtungen über Ozelot. Leider halfen sie nicht viel weiter, insbesondere nicht beim Fall Rostkatze. Affe fand sie sinnlos und verstand sie nicht, Nilpferd hörte nicht zu und Tukan fand sie äußerst langweilig. Irgendwann brach Ozelot seinen Monolog trotzig ab, weil er ihm überhaupt keinen Spaß machte, sondern vielmehr nur frustrierte. Er mochte Monologe überhaupt nicht, vor allem, wenn das einzige, was die gelangweilten Zuhörer sagten, bohrende Fragen waren, die er nicht beantworten konnte. Deshalb hatte er einfach die Schnauze voll, von ihnen durchlöchert zu werden, und brach ab und sagte für den Rest des tages nur noch sehr, sehr wenig, damit der schweigsame Tukan sich genötigt fühlte, selbst seinen Schnabel zu öffnen.

Kapitel 5: Die Obstinsel

Zuerst sah es noch ganz gut für Rostkatze aus, aber mit der Zeit verschlechterte sich ihre Lage. Da der Zweikampf sehr lange dauerte und Anakonda geschickt und ausdauernd war, kam die arme Rostkatze schon nach einer Stunde völlig aus der Puste. Anakonda hatte sie in dieser einen Stunde schon fast umwickelt, ihr mehrmals Angst mit ihrer fürchterlichen Schalngenstimme, die nicht mehr und nicht weniger als ein bedrohliches Zischen war, eingejagt, ja, Anakonda hatte ihr mehrere Male in die Augen geschaut und ihr versprochen, dass sie sie töten würde, sie hatte oft zu Leopard geschaut und so nicht bemerkt, wie sich Anakonda ihr näherte, aber bisher war sie am Leben geblieben. Nun aber bestand keine große Hoffnung mehr, weil sie jetzt nämlich komplett aus der Puste war und einfach nicht mehr konnte. Sie rang nach Atem, hechelte, schwitzte an den Pfoten, schluckte, sah, wie Anakondas riesige, gelbe Augen sich ihr immer mehr näherten, konnte nichts unternehmen, weil sie auf dem Boden lag. Eine entsetzliche Stille hatte sich auf dem ganzen Schulhof ausgebreitet.
Und dann, dann war es um Rostkatze geschehen: Anakonda war direkt vor ihr und konnte sie jederzeit erwürgen. Eine Bewegung, und Anakonda schnappte sie. Dann war es soweit. Anakonda rückte noch mehr vor und erwürgte Rostkatze - fast! Denn Rostkatze war instinktiv mit letzter Kraft zurückgewichen und hatte die Flucht ergriffen. Ganz knapp war sie dem Tod entronnen.
Panisch rannte Rostkatze um ihr Leben, das sie beinahe fast verloren hätte. Die Angst - die Todesangst - hatte Rostkatze ergriffen.
Anakonda schlängelte ihr so schnell sie konnte hinterher. Schon bald hatten die beiden das Schulgelände entgültig verlassen.
Noch hatte Rostkatze einen satten Vorsprung, aber lange würde sie nicht mehr rennen können. Das Problem war, dass sie keine einzige Sekunde verlieren durfte. Blind vor Angst floh sie weit in den Dschungel hinein, weiterhin verfolgt von der wütenden Anakonda. Die Jagd dauerte lange, länger als gedacht.
Schließlich konnte Rostkatze nicht mehr weiter. Vor ihr lag ein tiefer Abgrund, der ihr den Weg versperrte. Rostkatze schlug ihre Augen weit auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Kopf war absolut leer. Sie saß in der Falle, denn Anakonda hatte sie mit Leichtigkeit eingeholt. Nun gab es weder Entrinnen noch Zurück mehr. Auf der einen Seite war der Abgrund, auf der anderen Anakonda.
Rostkatze hechelte und hechelte und... hechelte. Und schwitzte an den Pfoten, da sie an den Pfoten ihre Schweißdrüsen hatte. Sie genoss ihre womöglich letzten Momente nicht, nein, sie verbrachte sie in starrer Angst. Aber es waren nicht ihre letzten Momente, denn gerade zur richtigen Zeit kamen Tukan, Affe, Nilpferd, Ozelot und Leopard, die die beiden verfolgt hatten.
Leopard glühte und loderte und funkelte und sprühte Funken mit seinem Blick und knurrte.
Affe schnitt Grimassen, stieß verwirrende Töne aus und tänzelte umher.
Tukan flatterte direkt über Anakondas Kopf herum, damit sie nervös wurde.
Ozelot schnurrte, weil er ja nicht knurren konnte, und machte komischen Quatsch.
Nilpferd stampfte extralaut um Anakonda im Kreis herum, damit sie sich unsicher und beobachtet fühlte. Aber Anakonda ließ sich nur halb ablenken. Mit einem Auge schaute sie nämlich weiterhin zu Rostkatze und beobachtete, was diese machte. Und sie machte etwas, womit Anakonda nicht gerechnet hatte: Sie sprang todesmutig über ihren Kopf hinweg auf Anakondas Schwanz, dass diese schmerzverzerrt am Boden liegen bleiben musste, und jagte dann triumphierend und mit neuer Kraft zurück zum Schulhof. Mit der Hilfe der anderen hatte sie über Anakonda gesiegt!
In den darauf folgenden Tagen weigerten sich die meisten Tierkinder, zu lernen. Tapir, Chamäleon, Jaguar, Kasuar, Krokodil und Nebelparder wollten von Leopard, Rostkatze, Affe,
Nilpferd und Ozelot alles über den Kampf wissen und die meisten Lehrer waren so interessiert, dass sie sogar vergaßen, zu unterrichten. Nur Frau Harpye und Frau Nasenbär bemühten sich vergeblich, die Schüler zum Lernen zu bringen. Selbst Herr Gürteltier, der alte strenge Herr Gürteltier, lauschte gebannt den Tierkindern, die wirr durcheinander drauflosquasselten.
Das einzige Tierkind, das immer noch lernen wollte, war Hyazinthara. Sie hatte kein bisschen Interesse für die Sache mit dem Kampf, weil da Männchen mitmachten und sie nichts mit dem Quatsch und den ganzen Dramen und sonstigen Aufsehen erregenden Sachen, die die Männchen machten, zu tun haben wollte. Eigentlich hätte Zwergameisenbär auch lieber gelernt, statt den brutalen Geschichten von den anderen zuzuhören, aber weil sie schreckliche Angst vor Frau Harpye und Frau Nasenbär hatte, ließ sie beides sein und versteckte sich einfach vor allen in der obersten Spitze der Baumkrone. Weil sie aber Angst hatte, nie wieder nach unten kommen zu können, kletterte sie wieder ein Stückchen nach unten.

Nach ein paar Wochen wusste jeder außer Hyazinthara und Zwergameisenbär genau jedes Detail vom Kampf und der darauf folgenden Verfolgungsjagd und alle fanden das wieder langweilig und lernten wieder besser.
Am Nachmittag trafen sich Tukan, Affe, Nilpferd und Ozelot wieder bei Tukans Palme und machten wieder eine von ihren üblichen Besprechungen, obwohl sie eigentlich nichts mehr so richtig zu besprechen hatten. Aber dem schlauen Tukan fiel eben doch noch etwas ein und so hatten sie wieder etwas zu besprechen.
"Leute", sagte er, "wir haben zwar jetzt schon sehr viel herausgefunden, beobachtet und erlebt, aber wir wissen trotzdem immer noch nicht, ob Leopard auch in Rostkatze verknallt ist oder ob er nur irgendetwas mit ihr hat oder ob er nur so tut oder was auch immer oder sonst was oder was weiß ich. Versuchen wir, das herauszufinden?"
"Ja!", riefen Affe, Nilpferd und Ozelot.
"Gut", sagte Tukan. "Was denkt ihr über Leopard? Ich habe gerade keinen konkreten Gedanken."
"Ich denke, dass Leopard auch in Rostkatze verknallt ist", sagte Affe sofort. "Und dass sich die beiden regelmäßig Liebesbriefe schreiben."
"Ich denke, dass Leopard nur so tut, dass er in Rostkatze verknallt ist", sagte Nilpferd mit seinem treuherzigen Gesichtsausdruck. Eigentlich dachte er gar nichts und hatte keine Vermutung, deshalb sagte er einfach irgendetwas, von dem Tukan geredet hatte.
"Ich denke, dass Leopard Rostkatze irgendwie mag, aber nicht so richtig in sie verknallt ist", schnurrte Ozelot nachdenklich.
"Wollen wir Leopard in der nächsten Pause einfach mal fragen?", fragte Affe.
"Und der, der richtig geraten hat, darf einen Ausflug zu einem See mit einer kleinen Insel mit Früchten drauf machen", schlug Nilpferd eifrig vor, der schon vergessen hatte, was er zu Leopards Gedanken über Rostkatze gesagt hatte.
"Lieber nicht, ich hab nicht so große Lust", sagte Ozelot. "Aber wenn du gewinnst, kannst du das machen. Nur eben, wenn ich zum Beispiel gewinne oder wenn Affe gewinnt, dann muss der das nicht machen. Und wenn du verlierst, kannst du das ja trotzdem machen, wenn du willst und wenn du diese Obstinsel kennst."
Am nächsten Tag gingen die 4 Freunde wieder gemeinsam zur Schule und waren mal wieder fast die frühesten. Sie suchten sich ein besonders großes stabiles Palmenblatt aus, das bei Freunden als Sitzplatz immer sehr begehrt war. Sie sagten Frau Wassrrschwein guten Morgen und schnappten sich Papyrus-Papiere (oder eben Papierblätter, die nicht aus Papyrus, sondern aus anderen Pflanzenblättern hergestellt waren). Schließlich war gerade Rechtschreibung-Grammatik-Zeichensetzung-Wiederholungs-Unterricht (also Briefeschreiben). Tukan, Affe und Ozelot wussten schon sofort, an wen sie schreiben wollten und was: Sie wollten alle in ihrem Brief Leopard fragen, wie er über Rostkatze dachte. Nur Nilpferd kam auf diese Idee nicht und träumte ein bisschen vor sich hin, weil er noch nicht ganz wach war. Und er war sowieso auch eher so ein Träumerchen.
Tukans Brief sah so aus, als er fertig war:
Hallo Leopard,
ich habe eine Frage an dich, die ich dir schon sehr lange stellen wollte: Was denkst du über Rostkatze? Wie ist deine Meinung zu ihr? Bist du zum Beispiel auch in sie verknallt oder tust nur so oder so? Bitte antworte irgendwann mal, du musst mir übrigens keinen Brief schreiben, sonder kannst mir das auch einfach sagen.
Tukan 🐦
Das war Affes Brief:
Hallo Le
opard
Bist du in Rostk
atze verknallt? Und schreibst du ihr aucch auch Liebesbriefe?
Af
fe🙈🐒
Ozelots Brief an Leopard war so:
Hast du was mit Rostkatze? Das denke ich nämlich, Leopard. Wahrscheinlich magst du Rostkatze irgendwie, aber bist nicht in sie verknallt. Sag mir bald, ob das stimmt.
OZELOT 😼😾🙀
Schließlich hatte Nilpferd bemerkt, was seine Freunde geschrieben haben und erinnerte sich wieder an seinen eigenen Verdacht über Leopard. Also schrieb er:
halo lepard
tus du nur so das du in roskaze veknalt bisd oder was sint daine gedancken?
ich bin nilpferd. shraib mir zurük. ich froie mih auf di antwot.
nilpferd🦛
(Kleine Anmerkung: Nilpferd unterlief ab und zu ein kleiner Rechtschreibfehler. Er hatte ja auch nicht seit der ersten Klasse Sprache als Fach.)
Sie gaben Leopard unauffällig und in regelmäßigen Abständen die Briefe, damit er keinen Verdacht schöpfte, dass sie unter einer Decke stecken könnten und sich fragten, was er von Rostkatze hielt. Weil fast alle Tiere Leopard Briefe gaben, bemerkte er gar nichts. Alle Briefe an ihn außer die von Nilpferd, Ozelot, Tukan und Affe (also die von Rostkatze, Tapir, Krokodil, Jaguar, Kasuar, Chamäleon, Nebelparder und Anakonda) ergaben nicht sehr viel Sinn und waren relativ uninteressant.
Tapir schrieb davon, wieviel er immer bei seinen Eltern und Geschwistern herumprahlte, dass er ein sehr offizieller und anerkannter Fan von Leopard war.
Anakonda drohte in ihrem Brief mit weiteren Angriffen auf Leopard und Kämpfen mit Rostkatze, aber jeder, der diesen Drohbrief gelesen hätte (was nicht vorkam, weil Leopard seine Briefe immer irgendwo still und heimlich im Schatten der Palmen las) hätte sofort gewusst, dass das nur leere Drohungen waren, die Leopard abschrecken und ihm Angst einjagen sollten, dass Anakonda sich aber gerade jetzt auf nie und nimmer damit lächerlich machen würde, einen erneuten Angriff zu starten, wo ihre Niederlage so offensichtlich war. Auf keinen Fall würde sie das tun, das wusste selbst die kleine Ameisenbär, die damit nicht im geringsten etwas zu tun haben wollte. Anakonda würde so lange warten und Rachepläne schmieden, bis Leopard oder Rostkatze selbst irgendeinen Fehler beging und selbst eine Niederlage gegen irgendwen anderes erlitt, und dann erst wieder zuschlagen. Dann würden die anderen Leopard oder Rostkatze auch nicht unterstützen und sie hätte freie Bahn.
Krokodil, Kasuar und Chamäleon schrieben davon, wie cool sie Leopard fanden und wie fanatisch sie von ihm waren. Anakonda hätte gedacht: Noch! Denn sie war ja davon überzeugt, dass Leopard irgendwann einen riesengroßen Fehler begehen und alle seine Fans verlieren würde.
Jaguar, der etwas intelligenter war, weil er sitzen geblieben war und so viel Erfahrung gesammelt hatte, schrieb nicht so einen sinnlosen, lächerlichen Quark, sondern schrieb an Leopard Pläne, was dieser den Lehrern für Streiche spielen konnte.
Nebelparder schrieb so ähnliche Sachen wie Krokodil, Kasuar und Chamäleon, aber sein Brief war noch kürzer, seine Schrift noch krakeliger und unlesbarer und ihm unterliefen noch mehr Rechtschreibfehler, die bei den Männchen allerdings hoch geachtet waren, da sie als ein Zeichen der "Quatschigkeit" und dem Widerstand gegen die übermächtigen, fehlerfreien, korrekten, strengen Lehrer gedeutet wurden.
Und Rostkatze, die gute Rostkatze, schrieb wieder einen ähnlichen Inhalt wie bei dem ersten skandalösen Liebesbrief, aber eben weniger extrem.

Kapitel 1: Frau Wasserschwein hat Ärger bekommen

Die Sonne ging auf. Ihre Strahlen erreichten sogar Tukans Ast. Tukan wachte auf. Er blinzelte einmal und gähnte. Dann breitete er seine Fl...