Viele Tierkinder waren enttäuscht, dass ihnen ganz viel von ihrer spaßigen Pausenzeit weggenommen wurde. Sie waren wütend auf Frau Harpye und Frau Nasenbär. Frau Wasserschwein konnte ja nichts dafür. Und Herr Gürteltier, Herr Kaiman und Frau Aguti waren ja gar nicht mal beteiligt an der Sache.
Tukan spielte mit Affe auf einer Palme und Affe musste es aushalten, nicht herunterzuspringen, weil unten ein verlockender kleiner Tümpel war, in den Affe am liebsten hereingesprungen wäre und ausgiebig gebadet hätte. Nilpferd schaute Tukan und Affe vom Tümpel aus zu und gab Affe Ratschläge.
Tapir, Krokodil, Jaguar, Kasuar und Chamäleon liefen hinter Leopard her und schrien ihm zu, was er alles mit Frau Harpye und Frau Nasenbär machen konnte. Leopard selbst schien ein bestimmtes Ziel zu haben. Auf seinen weichen Tatzen schlich er vor Tapir, Krokodil, Jaguar, Kasuar und Chamäleon voran und schien nach etwas zu suchen. Schließlich fand er das, was er suchte: Ozelot.
Ozelot schnurrte, als er Leopards bedrohliches Lächeln sah. Er konnte nicht richtig knurren, das konnte kein natürlicher Ozelot. Deshalb schnurrte er. Man erkannte aber, dass er es nicht friedlich meinte. Er schnurrte wütend.
Leopard stand eine Weile vor ihm, dann sprang er auf ihn zu und riss sein Maul weit auf. Ihm entfuhr ein lautes Fauchen.
Ozelot wich geschickt aus. Jede von seinen Bewegungen war geschmeidig und perfekt.
Leopard jagte Ozelot einen Baum hoch. Er tat so, als würde er nicht hochkönnen, doch wie ihr wahrscheinlich schon wisst, sind Leoparden eigentlich ausgezeichnete Kletterer. Als Ozelot ganz oben war und dachte, er hätte Leopard abgehängt, sprang dieser mit einem Satz auf einen Ast und kletterte von da aus zu Ozelot.
Ozelot schwitzte. Er saß in der Falle. Wenn er von hier aus, vom allerhöchsten Punkt, herunterspringen würde, wäre er tot. Atemzug um Atemzug verging für ihn in riesiger Todesangst. "Wirst du mich töten?", keuchte er schließlich. Er sah Leopard aus großen Augen an und man sah in ihnen förmlich die Angst flackern.
Inzwischen hatten sich schon alle Tierkinder um den Baum versammelt und sahen gebannt zu. Alle warteten in ängstlicher Stille.
Schließlich lächelte Leopard sein bedrohliches Lächeln und sagte mit rauer Stimme: "Nein." Er machte eine Pause und ließ das Wort seine Wirkung tun, dann fuhr er fort: "Das ist verboten. Man darf nicht auf dem Schulhof töten. Erst, wenn man ein ausgewachsenes Tier ist. Dann schon. Man darf nur üben." Und er sprang vom Baum und lief gefolgt von Tapir, Krokodil, Jaguar, Kasuar und Chamäleon in einen anderen Teil des Schulhofs.
Ozelot kletterte erleichtert auf einen Ast weiter unten und machte es sich gemütlich. Keiner beachtete ihn weiter, aber diesmal war es ihm recht. Er wollte allein sein und schlafen.
Frau Aguti und Frau Wasserschwein hatten Pausenaufsicht. Nun war die Pause zu Ende; schließlich war sie auf ein Drittel der normalen Pausenzeit reduziert worden. Frau Wasserschwein rief: "Pausenschluss!"
Die Tierkinder trotteten zur großen Palme und ließen sich nieder.
Jetzt kamen Frau Harpye, Herr Gürteltier und Frau Nasenbär für den weiteren Unterricht. Frau Aguti hatte die drei darüber in Kenntnis gesetzt, was zwischen Ozelot und Leopard vorgefallen war, und Leopard bekam von Frau Harpye ein OJE. Es war ein Zettel, auf dem ein großes, großes OJE stand und darunter noch, was Leopard gemacht hatte. So etwa sah es aus:
Wenn du über 10 OJES hast, fliegst du von der Schule!
Nachdem Frau Harpye Leopard das OJE gegeben hatte, befahl sie den Tierkindern, schreiben zu lernen, damit sie auch OJEs schreiben konnten, wenn sie etwas schlimmes beobachteten, und damit die Lehrer und Lehrerinnen sich nicht immer die Mühe machen mussten, angestrengt OJEs zu schreiben.
2 Wochen lang (also 14 Tage lang) gaben sich Frau Wasserschwein, Frau Aguti, Herr Kaiman, Frau Nasenbär, Herr Gürteltier und Frau Harpye alle Mühe, den sturen Tierkindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Am Ende wurden Frau Harpye, Frau Nasenbär, Herr Gürteltier und Herr Kaiman sogar gewalttätig. Schließlich schafften die Tierkinder es mit Ach und Krach, das Alphabet zu erlernen. Frau Wasserschwein schlug ihnen vor, regelmäßig Briefe zu schreiben, um die Kenntnisse in Rechtschreibung und Grammatik nicht zu verlernen.
Die Tipps von Frau Wasserschwein waren immer willkommen und wurden sofort genutzt. Die Tierkinder schrieben sich tatsächlich Briefe. Jeder bekam einen persönlichen Briefkasten, persönliches Papier und einen persönlichen stumpfen Bleistift, was schon ein großer Luxus war.
Am nächsten Tag war in Tukans Briefkasten ein Brief angekommen. Er war von Affe und sah so aus:
Hallo Tukan! Wollen wir uns morgen treffen? Ich weiß schon, welchen Treffpunkt wir nehmen können. Wir können uns beim Tümpel treffen. Ich habe auch schon Nilpferd gefragt. Er will auch mitmachen. Ist das ok? Was wollen wir spielen?
Dein Affe🙈
Tukan freute sich riesig, Post zu kriegen. In der Schule wartete er, bis Briefe-Stunde mit Frau Wasserschwein war, dann schrieb er an Affe:
Hallo Affe!
Wir können uns sehr gerne verabreden! Auch mit Nilpferd! Ich freue mich schon darauf!
Dein Tukan🐦
In Leopards Briefkasten lagen jede Menge Briefe. Einige davon sahen so aus:
Hallo Leopard
Die Sache mit Ozelot war echt krass. Ich finde, du sollst OJEs sammeln und dann welche wegschmeißen damit du nicht von der Schule fliegst.
TAPIR🖔
Leopard hatte ihm geantwortet:
Hallo Tapir
Ich sammele schon OJEs. Frau Harpye will das auch, damit ich immer weiß, wann ich über 10 Ojes hab & von der Schule fliege.
Leopard🐆😼
Ein anderer Brief, den Leopard bekommen hatte, sah so aus:
Spiel den Lehrerinnen noch mehr Streiche! Dann hast du nämlich über 10 OJEs und fliegst von der Schule! Haha! Hihi! Dann verdränge ich dich wieder!
Ozelot😾
Leopard ging natürlich nicht darauf ein.
Plötzlich hörten Tukan und Affe ein schnelles Trippeln . Es war Ozelot, der zu ihnen auf den Baum kletterte. "Tukan! Affe!", japste er und sah sich um, um zu gucken, ob jemand hinter ihm her war. "Leopard hat meinen Brief gelesen und Rache geschworen! Dann hat er mich bis zum Baum von meinen Eltern gejagt! Ich hab ihnen alles erzählt und dann haben sie mich vom Baum gejagt! Sie finden es nämlich schrecklich, dass ich nicht gut lerne und immer so streng gegen Leopard bin! Ich versteh das einfach nicht, meine Eltern, die mögen Leopard irgendwie. Keine Ahnung, was in die gefahren ist! Die haben einmal seine Rosetten gesehen und jetzt sind sie verrückt nach ihm! Wie eitel muss man sein, dass man mein Fell nicht mehr gut genug findet..." Er schnappte nach Luft und wollte weitererzählen, da sagte Tukan langsam: "Stoppstoppstoppstoppstopp. Du kannst eine Nacht hier übernachten und dann gucken, ob deine Eltern immer noch so fuchsteufelswild sind."
"Natürlich werden sie's sein!", schrie Ozelot. "Sie sind jetzt schon seit gestern so durchgedreht! Ich bin wie von der Tarantel gestochen gerannt, bis sie nicht mehr in Sicht waren! Ich weiß gar nicht, wann die wieder normal werden!"
"Natürlich dann, wenn du wieder besser lernst und nicht mehr so stark gegen Leopard bist. Dann beruhigen sie sich sicher", meinte Tukan ruhig.
"Ich will aber nicht besser lernen!", schrie Ozelot. "Und ich werde immer gegen Leopard sein, selbst nach seinem Tod! Und zwar genauso stur wie jetzt!"
Tukan seufzte. "Affe, was machen wir?"
"Wir lassen Ozelot hier übernachten! Ist doch klar!", sagte Affe, während er sich von einem dicken Ast zu einem dünnen schwang.
Ozelot hörte gar nicht zu. "Ehrlich, ich hab vor meinen Eltern jetzt noch mehr Angst als damals vor Leopard! Ich muss hier eine Woche schlafen, bis die sich wieder beruhigen!"
"Na gut", sagte Tukan.
Und so schlief Ozelot in dieser Woche jede Nacht bei Tukan. Weil Tukan nicht allein mit seinen Eltern und Ozelot schlafen wollte, war Affe dabei.
Manchmal, wenn Tukan nachts aufwachte, sah er plötzlich zwei schmale, gelbe Augen mitten in der Schwärze der Nacht leuchten. Es waren Ozelots Augen. Denn Ozelot war eigentlich nachtaktiv und erkundete den tukan'schen Baum. Durch die Schulpflicht hatte er es sich aber angewöhnt, auch tagsüber aktiv zu sein. Er erkundete aber nicht nur den Baum, er war auch wach, weil er stets auf der Hut sein musste, weil seine Eltern oder Leopard jederzeit auftauchen konnten. Natürlich schlief er auch, aber er schlief eben nicht viel. Bei jedem kleinsten Geräusch wachte er auf und sah sich ein wenig ängstlich um. Und immer waren es weder seine Eltern noch Leopard, sondern nur knackende Äste, das Schnarchen von Affe oder irgendwelche anderen unwichtigen Sachen. Trotzdem schlief Ozelot ständig in großer Angst und hatte einen sehr leichten Schlaf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen